Frank Schablewski zu den Arbeiten von Alexandra Klawitter

Die Sprache teilt mit, dass mit dem Begriff Wald auch die unter wild behandelten Wörter verwandt sein können. Das Wort Wildnis besitzt auch die Bedeutung unbebautes, nicht besiedeltes Land. Die sprachgeschichtliche Nähe zu Walhalla, dem Kampfplatz der Gefallenen über das lateinische Wort vellere in der Bedeutung des gerupften Laubes ist spielend leicht herzustellen. Sind derart der Balzplatz, die Lichtung der Brunft, die Marken der Reviere die leuchtenden Hintergründe der Tier- und Figurenwelt der Alexandra Klawitter? Das Tier ist ein großes Zentralmotiv in der künstlerischen Arbeit von Alexandra Klawitter.

 

In künstlerischen Prozess befreit die Künstlerin das Tier und stellt es in seiner Wildform dar. Wiesel, Hase, Hirsch, Wildschwein stehen in der Bewegung. Da zeigt Alexandra Klawitter das auf der Hut sein müssen in der wilden Umgebung. Wild bedeutet hier auch außerhalb der zivilisatorischen Umgebung einer menschlichen Gesetzgebung zu sein. Doch hat das Tier in der Wildnis einen anderen Zweck, als nur als Nahrungsmittel zu dienen, es dient allein sich selbst und seiner Art. In früheren Kulturen waren Tiere Sinnbilder für Gottheiten. Die lateinische Sprache reflektiert diesen Zusammenhang am deutlichsten: Anima bedeutet Lufthauch, Atem, philosophisch sogar Seele, nach Jung die Frau im Unbewussten des Mannes. Wie ein Verweis, unbedingt das plastische Werk in Bronze zu gießen, wirkt die Bedeutung für anima, der aus unedlem Metall bestehende Kern einer mit Edelmetall überzogene Münze. Zu dieser Bedeutung steht kongenial die Materialität der Bronze gegenüber, die Alexandra Klawitter für die Ausführung ihrer Werke nutzt. In diesem Werkprozess dreht sich diese Bedeutung in die Aufwertung des Tieres durch das  Kunstwerk. Darüber hinaus kennzeichnet das Wort animal die aktive Lebensäußerung, die auf Sinnesreize reagiert und zu willkürlichen Bewegungen fähig ist. Animalisch heißt weiterhin nichts anderes als tierisch, alles, was den Tieren eigentümlich ist, tierhaft, urwüchsig-kreatürlich. Da entspricht der Sinn der Sprache der Ästhetik des Werks von Alexandra Klawitter, die in der Affektperspektive der Steinzeit eine plastische Lösung gefunden hat. Künstler wie Joseph Beuys und Alberto Giacometti suchten in der Ästhetik der Steinzeit eine Formensprache für ihre Kunstwerke zu finden. Die Steinzeit repräsentiert die erste menschliche Hochkultur, die Anfänge von Zivilisation wie Religion. Hier spielte das Tier eine wichtige Rolle für das Leben und Überleben wie für die Ausgestaltung einer schamanistischen Religion. Das oben erwähnte Blätterkleid wirkt in seiner Morphologie vorbildlich in der stilistischen Gestaltung der Figuren in der Kunst von Alexandra Klawitter. Eine der Figuren heißt Seifengott und verweist darauf, dass Seife auch aus tierischen Fetten hergestellt werden kann. Die Form der verwandelten Oberkörper wirkt in ihrem tropfendem Zustand fast amorph. Die Gestalt und das Gestaltlose, Anwandlung und Abstraktion reflektiert die Künstlerin in dieser Ausformung und erschafft in diesen Figuren aus ihrer Werkgruppe „Mänadenzug“, wunderbare Mischwesen aus dem Vorstellbaren und Unvorstellbaren, was das Göttliche für den Menschen seit jeher war und ist. Alexandra Klawitter entdeckt mit ihrer expressiven Bildsprache ihre Motive neu. Jahrtausende alte Sprachen wie das Hebräische geben ihr recht, in der beispielhaft die Worte für Baum, Gott, mein Gott, und Hirsch ganz ähnlich klingen, beziehungsweise aus denselben Buchstaben geformt werden:  אִילָן  ('ilAn), אֵלי ('elI), ('ajAl) אַיָּיל. Dergleichen scheint die Künstlerin auch das Sinnbild , den Zweck der Käfigform zu verwandeln in ihrer plastischen Arbeit. Jetzt sind die Stäbe eines Käfigs, ein Fundament, ein Sockel aus Stäben, Ästen, die das Tier oder Mischwesen wie die Baumfrau wie auf einem Schild präsentieren. Damit erhöht die Bildhauerin ihre Kunstwerke auf ganz natürliche wie immanente Art und Weise. Eine derartige Konstruktion ist nur aus der Architektur bekannt: Pfahlbauten am Rande größerer Gewässer.

 

Wendet man sich Klawitters plastischer Arbeit „Wildschwein“ zu, und betrachtet sie genau, wirkt das mögliche Beutetier eher wie ein Raubtier. Die Künstlerin verformt die sichtbare Wirklichkeit, um ihre Gefühle, ihre Idee wie Vorstellungskraft in drastischer Weise darzustellen. Wie in einem rauschhaften Erregungszustand scheint diese Tierform verwirklicht worden zu sein. Aufruhr und Zerrissenheit spiegeln sich in dieser Ausgestaltung wieder wie eine schmerzvolle Leidenschaftlichkeit. In dieser expressionistischen Manier scheint die Bildhauerin wie ein Seismograph auf die Erschütterungen, die dem Tier wie auch dem Menschen in der heutigen Zeit widerfahren, zu reagieren. Alexandra Klawitter spiegelt in ihrem Stil Zusammenhänge wieder, die dem Bewusstsein der Gegenwart abhanden gekommen sind. Derart scheint die türkische Sprache, das Motiv des Wildschweins aufs Eindringlichste zu bezeugen: Canavar bedeutet wildes reißendes Tier, das auch dem Menschen gefährlich ist; Canavarlik heißt Blutgemetzel; man weiß um die Gefährlichkeit der Wildeber, die auch als Motiv in der griechischen Mythologie auftauchen. Es ist ein Wildeber, der den schönen Adonis seine Hauer in den Leib stößt und tötet. In diesem Zusammenhang liegt Canan in größter Nähe, obwohl es Geliebte bedeutet und ist in der islamischen Mystik ein Wort für Gott, das Janusköpfige, die märchenhafte Verwandlung von Tier und Mensch wird in Klawitters Kunst reflektiert; Can wird in der türkischen Sprache Seele und Leben genannt und so eine Tiefe strahlen die Kunstwerke aus. Die Bedeutung des Tiers für den Menschen spiegelt sich heutzutage nurmehr in seiner Domestikation als Haustier oder als Tierkreiszeichen des Horoskops. Die Idee der Sternzeichen ist Jahrtausende alt, Archäologen interpretieren die Tierbilder in den Höhlen von Lascaux als solche. Die Gegenwart scheint jegliche Tierbilder zu abstrahieren, die Sternzeichen Großer und Kleiner Bär wurden in die Zeichen  Großer und Kleiner Wagen geändert, da die alten Bezeichnungen nicht mehr sichtbar sind am derzeitigen Himmel. Das künstliche Licht überstrahlt in den Städten den Nachthimmel. Bedeutungen wandeln sich.

 

So kommt eine Künstlerin im 21. Jahrhundert dazu, sich in ihren ästhetischen Experimenten auf die ursprünglichsten Formen zu besinnen, woraus Alexandra Klawitter Skulpturen wie zum Beispiel  „Fuchswaldgott“ oder „An das große Pferd“ Grab Rakubrand“ entwickelte. Es ist ein willentlicher Werkprozess, alle Formen, die durch die Zeit abgenutzt erscheinen, aufzugeben, und in der Formensprache frühester Zivilisationen einen Neuanfang zu wagen. Die anfangs erwähnte Affektperspektive ist nicht allein ein Merkmal steinzeitlicher Wandzeichnungen, sie kennzeichnet die Spontaneität und Unverstelltheit auf dem Gebiet der Gestaltung. Dieses Fabelhafte zeichnet auch die Werkserien „Mänaden“ und „Wald vor Wild“ aus. Die künstlerische Darstellung der Alexandra Klawitter entfaltet eine innere Wirklichkeit, die sich in der Seele oder im Geist verfeinert hat. Die Bildhauerin beweist in ihrem künstlerischen Stil, dass ihre persönliche Form der Figurativen Kunst eine lebendige Richtung mit vielfältigen Aspekten ist. Das Menschenbild im Tierbild reflektiert die Künstlerin, für sie ist das Tier kein Nutztier, sondern ein Lebewesen. Wie in der Fabel – und man denke dabei an Autoren der Moderne wie Franz Kafka – erhebt Alexandra Klawitter das Tierbild zum Spiegel des Menschen – und,  wie bei Kafka, geschieht dieses nicht mit einer vordergründigen Moral. Die Künstlerin entwickelt den Moment der Magie in ihren Arbeiten, die zeigen, dass das Wesen, das Lebewesen, mit vielen Dingen verbunden ist, sei es in der künstlerischen Darstellung allein oder in der Gruppe vorhanden.

 

 

 

„Hunting season“ und „Reservat – Blutopia“ sind zwei weitere, herausragende Werkgruppen der Künstlerin Alexandra Klawitter. Mit selbst getufteten Teppichen rückt sie Fell und Gebiet, Haut und Revier in nächste Nähe. In der englischen Sprache ist „prey“ die Beute, das Opfer und „pray“ das Gebet. Die klangliche Nähe dieser beiden Begriffe zeigt urtümliche wie urzeitliche Zusammenhänge, die Alexandra Klawitter wieder freilegt in ihren Arbeiten. „Mensa“ ist in der zweiten Bedeutung der Altar, „menses“ bezeichnet die Monatsblutung. Oblate und roter Wein dienen als „Umwandlung“ von Leib und Blut – hier reflektieren sich die Titel der beiden Werkgruppen direkt, keine Jagd ohne Blutvergießen, aber auch die Ausschau: das blutige Uralte Bedeutungsmuster tauchen so auf und beleuchten die Beziehung zwischen Mensch und Tier. Heute sieht der Mensch das Tier in seinem Nahrungskreislauf nur noch als Aufschnitt oder Wurst, bestenfalls als ein Stück Fleisch. Die Bildhauerin rückt in diesen Arbeiten ursprüngliche Bedeutungen zurecht wieder ins Bewusstsein. Auch in diesen Arbeiten reflektiert sie den Menschen im Tier, Redewendungen wie „das ist mein Revier“ kommen nicht von ungefähr oder in fremden Revieren wildern. Terrain und Teppich stellen die Frage danach, was darauf bleibt, was wird, soll darunter gekehrt werden? Die Textur der Teppiche, gleich ob sie Reviere oder Felle verkörpern, ist expressionistisch im Ausdruck. Die Farben spiegeln die Natur wider, die Farben der Mimikry und und die Signalfarbe. Erinnern die Kunstwerke aus der Serie „Hunting Season“ nicht auch an die zu Markte getragene Haut, so ist der Mensch sich selbst zum Opfer geworden, zur eigenen Trophäe. In diesen Arbeiten rückt Alexandra Klawitter das Tier weit aus der Ecke des Kuscheltieres, auch wenn sie mit textilem Material ihre künstlerische Idee zum Ausdruck bringt. Mit der Rolle des Menschen, mit dem Menschenbild entwirft die Bildhauerin ihre Kunstwerke durch die Figur des Tieres und seines nächsten Umraumes. Die Frage nach dem Freiheitsbegriff stellt sich sogleich, das Tier steht in der Biologie als Wesen, das Nahrung sucht und sich fortpflanzen will. Die Künstlerin stellt andere Ausnahmesituationen dar, in denen das Tier die Seele zurückbekommt, seine bestmöglichste Lebensäußerung.

 

 

 

 

 

Frank Schablewski, im Oktober 2016.